Die Stütze auf dem Weg in den Gerichtsaal

25.08.2020

Best Practice Geschichten

Was erwartet Flüchtlinge im österreichischen Gerichtssaal? Was entscheidet, ob ein Asylbescheid positiv ausfällt? – Die Gründerin der „Workshops gegen die Angst“ hat uns von ihren Erfahrungen im Gerichtssaal mit Geflüchteten und über den holprigen Weg dorthin, erzählt.

Wir sitzen in einem grünen Garten in Pressbaum, unweit von Wien. Einige Katzen und ein älterer Hund begleiten uns zum Tisch, an dem uns Erika Kudweis Kaffee vorbereitet hat. Der Garten ist wild und dunkelgrün, an manchen Ecken wachsen Rosen oder Tomaten. Wenn sie ein bisschen Zeit übrig hat, kümmert sich Erika um ihren Garten. Sie sucht sich jedes Jahr ein anderes Fleckerl im Garten aus und pflanzt Blumen oder Gemüse ein. Viel Zeit bleibt ihr aber meistens nicht übrig. Neben ihren drei Kindern hat sie auch vier Patenkinder aus Afghanistan, die sie regelmäßig trifft oder zumindest mit ihnen länger telefoniert. Sie ist für die Burschen (die eher junge Erwachsene sind) der einzige stabile Stützpunkt in Europa. Sie bereitet ihre Patenkinder nicht nur auf Prüfungen und Vorstelltermine sowie Termine im Asylverfahren vor, sondern hört ihnen auch zu, wenn es um Heimweh oder Liebeskummer geht. Eine Bezugsperson in Österreich zu haben, ist nicht nur wichtig, sondern vielleicht das Wesentlichste für junge Geflüchtete, wenn es darum geht, erfolgreich in ein neues Leben zu starten. Von der Job- und Wohnungssuche bis hin zu Sprachkursen – alles gelingt viel leichter, wenn man jemanden kennt, der helfen will. Aber um überhaupt längerfristig denken und planen zu können, ist die kritische Voraussetzung: ein Aufenthaltstitel in Österreich – die Möglichkeit in Österreich bleiben zu dürfen. 

Vor vier Jahren hat Erika den Verein PatInnen für alle gegründet. 2018 dann die „Workshops gegen die Angst“ entwickelt. Als ich sie nach ihrer Motivation frage, erzählt sie mir eine Geschichte:

„Das erste Mal in meinem Leben war ich wegen dem Asylverfahren eines unserer Patenkinder im Gerichtssaal. Ich bin in der letzten Reihe gesessen, zusammen mit den Paten und einem Lehrer des 18-Jährigen. Der Richter sagte: ‚Leute aus Afghanistan lügen immer. Ich bin gespannt: welche Lügengeschichte hören wir heute!‘. Ich musste mit meinen Tränen kämpfen. Dieser junge Mann bekam nicht einmal eine Chance. Das war einfach nicht fair. In dem Moment wusste ich, dass ich etwas tun musste. Das ist meine Motivation.“

Seitdem versucht sie junge Geflüchtete, die oft mit posttraumatischem Stress zu kämpfen haben, darauf vorzubereiten, was sie vor Gericht erwartet. So entstanden die „Workshops gegen die Angst“: Ruhig, im geschützten Rahmen und meist gemeinsam mit einer Vertrauensperson erfahren die Teilnehmer*innen wie sie sich auf eine Verhandlung vorbereiten können, welche Unterlagen für Richter*innen von Interesse sind und lernen auch die Richter*innen und Dolmetscher*innen besser zu verstehen. „Denn ihr Job ist es herauszufinden, ob ein Fluchtgrund einen Schutztitel wie Asyl oder subsidiären Schutz rechtfertigt, ob ein anderer Aufenthaltstitel gegeben werden kann oder eben auch nicht. Daher ist die Mitwirkung der Beschwerdeführer*innen (wie sie im Gericht genannt werden) essentiell. Mit einer guten Vorbereitung unterstützt man die Richter*in, eine richtige Entscheidung leichter treffen zu können. So hilft der dreistündige Workshop dabei, über Gründe und Ursachen nachzudenken und die Fragen, die schwierige, traumatisierende Erinnerungen hervorrufen, nicht erst im Gerichtsaal zu hören.“

Bevor wir gehen, zeigt uns Erika einige Fotos von ihrer Adoptivtochter und ihren Patenkindern. „Wissen Sie, was mir letztens passiert ist?“, fragt sie. „Ich war mit einem Patenkind unseres Vereins im Gerichtsaal, sein guter Freund war Beschwerdeführer. In der Pause saß dieser ängstlich in einer Ecke. Das Patenkind erinnerte sich an eine Übung aus dem Workshop, hat sein Mobiltelefon aus der Tasche genommen und auf seinen Kopf gelegt. Er fragte ihn: ‚Weißt du wie ein König mit seiner Krone sitzt?‘ Wir mussten alle lachen und danach ist der junge Mann wie ein König in seinem Stuhl gesessen und hat die schwierigen Fragen des Richters mit geradem Rücken, selbstbewusst und respektvoll beantwortet.“

Hier geht es zum Profil des Projekts auf unserer Homepage.

Text: Fruzsina Herbert
Foto © Anna Stöcher